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 Der Dilettantenbund Minerva

Eine kleine Engerser Theatergeschichte

„Das Urteil des Kurfürsten“, so lautet der Titel des Theaterstücks, das vom Vorsitzenden des Engerser Bürgervereins Josef Kretzer eigens aus Anlass des Engerser Jubiläumsjahres geschrieben wurde und am 18. August, am Vorabend des „Convents“, im Ehrenhof des kurfürstlichen Schlosses mit großem Publikumserfolg aufgeführt wurde. Zusammen mit den Veranstaltungen des anschließenden Wochenendes bildet es einen Höhepunkt des Festjahres in Engers und stellte gewissermaßen den vorläufigen Schlusspunkt all der kleinen Szenen und Theaterstückchen dar, die seit einigen Jahren beim Engerser Convent und Tribut aufgeführt wurden. Damit knüpft man in Engers an die alte Tradition des Laientheaters an, wie Jürgen Moritz im Rahmen seiner Recherchen zur Engerser Geschichte herausfinden konnte.

In der „guten alten Zeit“, als Radio und Fernsehen, Kino oder gar das Internet noch gänzlich unbekannt waren, gab es kaum Vereine in Engers, oder andernorts, die nicht ab und zu einmal ein Theaterstück aufführten. Dabei stand nicht nur die Muse der Schauspielkunst im Mittelpunkt, sondern ganz pragmatisch auch die Absicht, Besucher anzulocken und damit ein wenig die Vereinskasse aufzubessern. Bei einem Teil der Engerser Jugend, besonders der männlichen, bestand allerdings kurz nach der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert der dringende Wunsch einen Theaterverein zu gründen und „richtig“ Theater zu spielen. Zu Beginn des Jahres 1906 war es endlich so weit. Man traf sich in einem Gasthaus, dem vormaligen Hotel Zimmermann (Deutsches Haus) in der Bendorfer Straße, und schon wenige Wochen später wurde das Stiftungsfest des „Dilettantenbundes - Minerva“, diesen Namen hatte man sich gegeben, gefeiert. Mehr als ein halbes Jahrhundert sollte der Verein unter seinem Motto „Ars longa, vita brevis“ (lat. Die Kunst ist lang, das Leben kurz) in Engers und Umgebung für Furore sorgen.

Gleich beim ersten Stiftungsfest präsentierte man schon ein abwechslungsreiches Programm, das u.a. die Burleske „Ein weiblicher Nachtwächter“ oder das Couplet „Töff-Töff-Dingeling-Fupp-Fupp-Fupp“ umfasste. Wenn auch der Titel des letztgenannten Stücks ein wenig merkwürdig klingt: Die Besucher der Veranstaltung sollen der Überlieferung zufolge begeistert gewesen sein. Trotz dieses ersten Erfolges hatte die Minerva es nicht einfach, in ihren Anfangsjahren Akzeptanz zu finden, da ihre künstlerischen Aktivitäten von „berufenen Kreisen“ sogar bekämpft wurden! Dies hinderte den Verein jedoch nicht daran, im Laufe der folgenden Jahrzehnte wahre Triumphe zu feiern. Mehr als siebzig mal wurde allein die Operette „Winzerliesel“ aufgeführt, und „Gastspielreisen“ führten das Ensemble nach Oberbieber, Neuwied, Heimbach und Bendorf. SchillersKabale und Liebe“ gehörte bald ebenso zum Repertoire wie „Der Hexer“ nach Edgar Wallace. In den zwanziger Jahren boomte die Minerva regelrecht. Ihre Aufführungen, zunächst im „Rheinischen Hof“, später im Saale „Velten“, waren regelmäßig ausverkauft und Besuchergruppen aus Neuwied, Bendorf und dem Kirchspiel strömten nach Engers. In den späten zwanziger Jahren hatte der Verein mit Helene „Leni“ Herz auch einen weiblichen Star. Leni Herz war die Tochter von Moritz Herz, einem jüdischen Pferdehändler, der in den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts die „Gedeckte Reitbahn“ in der Bendorfer Straße erbauen ließ und dessen Familie für ihre Großzügigkeit bekannt war.

Mit Leni Herz in der weiblichen Hauptrolle feierte die Minerva, die sich mittlerweile „Theaterverein Minerva“ nannte, wahre Triumphe. In diese Phase der Vereinsgeschichte fiel auch die erste Freilichtaufführung im Garten der Römerbrücke, die von mehr als fünfhundert Zuschauern besucht wurde. Theaterkritiker, ob in der Neuwieder Zeitung, im Rhein-Wied Kurier oder in der Rhein- und Wied-Zeitung überboten sich gegenseitig mit positiven Rezensionen der Minerva-Aufführungen. Die Darsteller des Vereins zeigten Leistungen, wie man sie sonst nur selten auf Laienbühnen zu sehen bekäme. Die Minerva spielte jedoch nicht nur Theater, sondern nahm auch sonst am gesellschaftlichen Leben in Engers regen Anteil. Man führte Benefiz- und Karnevalsveranstaltungen durch, beteiligte sich an Fastnachtsumzügen, gründete eine eigene Mandolinenabteilung und nahm auch am legendären Festzug des Verkehrs- und Verschönerungsvereins im Jahr 1926 teil. Bezeichnenderweise mit einem Motivwagen unter dem Motto: „Kaiser Karl übergibt Engers die Stadtrechte“! Um so größer war die Trauer bei den theaterbegeisterten Engersern, als Leni Herz 1929 ihrem Verlobten folgte und in die Vereinigten Staaten auswanderte. Wenn man die Geschichte der folgenden eineinhalb Jahrzehnte vor Augen hat, sicher zu ihrem Glück! Was die Ressentiments bestimmter Kreise nicht vermocht hatten, kein erster Weltkrieg, keine Besatzung, keine Inflation, dass schafften dann die Machthaber der dreißiger Jahre: Die Minerva stellte aufgrund eines Verbotes ihren Theaterbetrieb ein.

Aber schon im Sommer 1945, wenige Monate nach Kriegsende, fanden sich die Akteure wieder zusammen, und bald hatte der Verein sogar mehr als 300 Mitglieder. Im Jahr 1949, dem ersten Jahr nach der Währungsreform, erlebte die Minerva nochmals einen Riesenerfolg mit der Aufführung der Benatzky-OperetteIm weißen Rössl“. Mehr als 6000 Besucher feierten bei mehreren aufeinander folgenden Freilichtaufführungen vor stilechter Kulisse  im Schlosshof die Engerser Laienschauspieler. Unterstützt wurden sie damals vom örtlichen Männergesangverein, dem Zitherclub Engers-Vallendar und dem Neuwieder Bayernverein. Ein Jahr später kehrte „Herze Len´che“ noch einmal an den Ort ihrer jugendlichen Triumphe zurück, den sie 22 Jahre zuvor verlassen hatte und übernahm gleich eine Rolle in dem Lustspiel „Der Meisterboxer“.

Ganz hatten sie und ihr Mann i h r Engers nie vergessen, denn sofort nach dem Ende des schrecklichen Krieges organisierten sie bei Wohltätigkeitsveranstaltungen in ihrer Wahlheimat Chicago Hilfspakete für die darbenden Menschen im alten Rheinstädtchen. Ihren 50. Geburtstag feierte die Minerva nochmals in festlichem Rahmen. „Staatsanwalt Alexander“ hieß der Vierakter zum Jubiläum im Jahr 1956 unter der Regie des unvergessenen Rudolf Linden. Ein Jahr später, als Engers an die sechshundertste Wiederkehr der Stadtrechtsverleihung erinnerte und vom damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Peter Altmeier erneut die Stadtrechte erhielt, zeigte das Engerser Schauspielensemble noch einmal, was in ihm steckte.

Man führte das Stück „Zwölftausend“ auf, dass man bereits in den zwanziger Jahren dem Publikum mit großem Erfolg präsentiert hatte. Fritz Stelz, der langjährige Redaktionsleiter der Neuwieder RZ-Redaktion, schrieb damals „Es gibt nicht viele Laientheater, die sich zu solchen Leistungen aufzuschwingen vermögen, wie sie die Minerva im Rahmen der Engerser 600 Jahr Feier einem begeistert mitgehenden halben tausend Bürger am Mittwoch im Kolpingsaal bot. Sie zeigt zudem den auswärtigen Gästen, wie sehr auch die kulturelle Aufgeschlossenheit des alten Rheinstädtchens zu seinem wiedergewonnenen Rang berechtigt“. Und daran hat sich bis heute nichts geändert....

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